Stressarm leben

Dies ist ein komplexes Thema mit vielen verschiedenen Haltungen.

 

Es gibt die Meinung, dass es zu unterscheiden gilt — in guten und schlechten Stress. Obwohl ich keine Anhängerin dieser These (mehr) bin, möchte ich sie etwas genauer erläutern. Denn ich denke, dass dies z um Verständnis von Stress und wie er funktioniert, einen wichtigen Beitrag liefern kann.

 

Der schlechte Stress ist laut dieser Definition das, was wir landläufig unter Stress verstehen: Druck in jeder Variante, vor allem Zeitdruck, Leistungsdruck. Stress hat etwas mit Fremdbestimmtsein zu tun, d.h. jemand tut etwas, um die Erwartung oder den Auftrag von jemand anderem zu erfüllen.

 

Im weiteren Zusammenhang steht damit die Hektik der modernen Welt, die Beschleunigung, die Entfremdung in der Arbeitswelt.

 

Dazu gehört auch emotionaler Stress, der nicht durch (zuviel, zu schnelles) Tun erzeugt wird, sondern nur durch die spezifische innere Haltung, den Druck, der den Stress erzeugt.

 

Dies zeigt sich zum Beispiel bei Prüfungsstress, Leistungsstress, Aggression, Wut, Trauer, Ohnmachtsgefühlen und anderem mehr.

 

Demgegenüber steht der gemäß dieser Definition positive Stress, der auch mit Tun, mit einer Art von Druck zu tun hat, aber positiv definiert wird, z.B. in ferne Länder reisen, neue Eindrücke erhalten, kreatives Tun im weitesten Sinne wie Komponieren, Singen, Malen, Bildhauern, Töpfern, Entwerfen, Schreiben.

 

Dieser Stress ist laut der These mit einem Glückshormon verbunden und erzeugt den sogenannten „Flow“, einen inneren Glücksstrom. Dieser Stress sei gut, so die These.

 

Meiner Meinung nach ist es komplexer und gleichzeitig einfacher. Es geht nicht um die Art der Tätigkeit oder Nichttätigkeit sondern um den ganzheitlichen Zusammenhang mit der Person in diesem Augenblick.

 

Wenn das, was die Person in diesem Augenblick tut, ihr ganz entspricht, sie zur Entfaltung bringt, stimmig ist, selbstbestimmt, dann ist es kein Stress für sie.

 

Wenn die Person bei dem, was sie tut oder nicht tut in irgendeiner Form ihre inneren oder körperlichen Bedürfnisse vernachlässigt, ihre eigenen Grenzen nicht beachtet, ist es Stress für sie.

 

Das bedeutet, dass nach dieser Definition Stress über die eigenen Grenzen gehen, über die eigenen Kapazitäten leben bedeutet.

 

Diese Missachtung der eigenen Kraft schafft kurz- oder langfristig eine Überforderung. Körper und/oder Seele müssen mehr leisten, als sie eigentlich können.

 

Wenn dies nur selten passiert, können sich Körper und Seele es in einer anderen Phase, in der es mehr Raum gibt, wieder erholen.

 

Wenn der Stress aber so oft und der Erholungsraum so selten ist, kann der Ausgleich nicht mehr stattfinden. Eine ständige Überreizung findet statt, wie wenn man eine Maschine ständig nicht nur auf Hochtouren, sondern auf Übertouren laufen lässt. Sie wird sehr bald kaputt gehen. Zuerst reparabel, zunehmend irreparabel.

 

Das Schwierige an meiner Definition von Stress ist, dass es keine allgemeinen Richtlinien geben kann. Die gleiche Tätigkeit in der gleichen Dauer kann für die gleiche Person am gleichen Tag einmal Stress bedeuten und ein andermal keinen Stress.

 

Es ist auch im Alltag oft schwierig zu unterscheiden, was wirklich selbstbestimmt ist und was sich aus welchen Gründen „gut anfühlt“.

 

Diese Glückshormone, die die These vom „Flow“ beschreibt, können auch ausgeschüttet werden, wenn sich jemand total überarbeitet, wie bei einem sportlichen Ereignis, wo die Person über ihre Grenzen geht und der Körper Endorphine ausschüttet, um weiter dem Stress gewachsen zu sein.

 

Es kann auch für manche Menschen ein Glücksgefühl produzieren, wenn sie Dinge tun, die andere nicht tun, weil sie sich dadurch die Bestätigung holen, dass sie etwas Besonderes sind.

 

Aber es kann sein, dass es eine Situation ist, in der sie nur besonders weit über ihre körperlichen und/oder seelischen Grenzen gegangen sind, weiter als die anderen. Und damit mehr Stress für sich selbst produziert haben.

 

Um das genau unterscheiden zu können, ist es hilfreich, sich selbst zu einem mehr oder weniger grossen Anteil zu kennen. Oder auf dem Weg zu sein, das herauszufinden.

 

Bei allen Fragen und Ungewissheiten scheint mir wichtig, immer wieder (zu versuchen) sich selbst zu spüren und sich vor allem genügend Zeit für die Regeneration zu lassen.